27. Februar 2023
Nicaragua

Entzug der Staatsangehörigkeit

Am 9.2.2023 hat die nicaraguanische Nationalversammlung (Asamblea Nacional) eine Ergänzung zu Art. 21 der Verfassung verabschiedet, nach der „Vaterlandsverräter“ (Traidores a la Patria) die Staatsangehörigeneigenschaft verlieren.

Bisher galt nach Art. 20 Verf., dass nicaraguanischen Staatsangehörigen kraft Geburt die Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden kann. Die entsprechende Formulierung wurde nicht geändert. Es ist deshalb diskutierbar, ob die neue Regelung in Art. 21 nur für eingebürgerte Nicaraguaner gilt. Von einer systematischen Auslegung her dürfte dies durchaus naheliegen. Diese Auslegung entspricht aber nicht dem vom Gesetzgeber Beabsichtigten.

Zudem ist umstritten, ob die Verfassungsänderung aufgrund der Nichtbeachtung der formalen Anforderungen an eine Verfassungsänderung unwirksam, bzw. noch nicht in Kraft ist. Kritiker wiesen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Art. 192 Abs. 2 Verf. vorsieht, dass über eine Teiländerung der Verfassung in zwei aufeinander folgenden Legislaturperioden debattiert werden muss. Das ist hier nicht geschehen.

Gleichzeitig wurde das „Spezialgesetz zur Regelung des Verlusts der nicaraguanischen Staatsangehörigkeit“ (Gesetz Nr. 1145) verabschiedet, das die neu ergänzte Verfassungsbestimmung ausfüllt. Das Gesetz ist nach seinem Wortlaut mit seiner Veröffentlichung in Kraft getreten. Zumindest diese Regelung zum Inkrafttreten ist, wenn man der erwähnten Auffassung zur Wirksamkeit bzw. zum Inkrafttreten der Verfassungsänderung folgt, verfassungswidrig.

Aufgrund der gesetzlichen Neuregelungen ist bisher (Stand: 23.2.2023) 317 Oppositionellen die Staatsangehörigkeit entzogen worden. Darunter findet sich der Schriftsteller Sergio Ramírez, Träger des Premio Miguel de Cervantes, der prestigeträchtigsten Literaturauszeichnung der spanischsprachigen Welt, die ebenfalls international bekannte Schriftstellerin Gioconda Belli und der regimekritische katholische Bischof Rolando Álvarez, der kürzlich zu 26 Jahren Haft verurteilt worden war, nachdem er sich geweigert hatte, in die USA auszureisen. Ein nicht unerheblicher Teil der Betroffenen ist durch den Entzug staatenlos geworden. Presseberichten zufolge soll keinem der Betroffenen die Entziehung offiziell mitgeteilt worden sein, was die Verweigerung rechtlichen Gehörs impliziert.

Internationale Kritiker wiesen überdies darauf hin, dass das Vorgehen, v. a. soweit es zu Staatenlosigkeit der Betroffenen führt, gegen internationale Übereinkommen verstößt, z. B. gegen Art. 8 des Übereinkommens vom 30.8.1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit, das für Nicaragua 2013 in Kraft getreten ist, und gegen Art. 20 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention von 1969.

Pressemeldung der nicaraguanischen Nationalversammlung   

Pressemeldung mit Wiedergabe des Gesetzestexts

Kritischer Pressebericht