25. November 2020

Vereinigte Arabische Emirate: Weitere familienrechtliche Neuerungen

Von Dr. Lena-Maria Möller

Nach den bereits im vergangenen Jahr beschlossenen Reformen des emiratischen Familienrechts wurde am 25. August 2020 mit dem Dekret-Gesetz Nr. 5/2020 in den Vereinigten Arabischen Emiraten ein weiteres Änderungsgesetz zum geltenden Personalstatutsgesetz Nr. 28/2005 verkündet (im Folgenden: ÄndG). Das ÄndG wurde im GBl. Nr. 685 veröffentlicht und trat gemäß Art. 3 ÄndG einen Tag nach seiner Veröffentlichung in Kraft. Da die betreffende Ausgabe des emiratischen GBl. bislang nicht online verfügbar ist, ist das genaue Datum des Inkrafttretens des ÄndG unklar. 

Durch das ÄndG wurden insgesamt fünf Artikel des Personalstatutsgesetzes (im Folgenden: PSG) geändert. Diese Änderungen betreffen größtenteils die Artikel, die bereits durch das vorherige ÄndG Nr. 8/2019 reformiert wurden. Dies sind die Regelungen über die Rechte des Ehemannes in der Ehe (Art. 56 PSG), den ehelichen Unterhalt (Art. 71-72 PSG) und die Scheidung aufgrund ehelicher Zerrüttung (Art. 120 PSG). Neu ist die Reform des ṭalāq durch den Ehemann (Art. 100 PSG). Zudem wurde Art. 106 PSG (gerichtliche Eintragung bzw. nachträgliche Bestätigung des ṭalāq) ersatzlos gestrichen.

Während bereits ÄndG Nr. 8/2019 die zuvor explizit erwähnte Gehorsamspflicht (ṭāʿa) der Ehefrau gegenüber ihrem Ehemann (Art. 56 I PSG a.F.) abgeschafft hatte, ließ sich ein Recht auf ehelichen Gehorsam weiterhin aus Art. 56 III PSG ableiten, der auf sonstige islamrechtliche Ansprüche („ayy ḥuqūq uḫrā muqarrara šarʿan“) verwies. Dieser Absatz wurde durch das neue ÄndG nun ersatzlos gestrichen. Zu den ehelichen Pflichten der Ehefrau zählen damit lediglich die Beaufsichtigung der Ehewohnung und die Verwaltung der häuslichen Angelegenheiten (Art. 56 I PSG) sowie das Stillen der gemeinsamen Kinder, sofern dies möglich ist (Art. 56 II PSG).

Auch das Unterhaltsrecht wurde erneut modifiziert und dem veränderten Verständnis von ehelichen Rechten und Pflichten angepasst. So wurde unter anderem der Begriff des ehelichen Gehorsams aus Art. 72 PSG gestrichen. In Art. 71 II n.F. wird nun vom dauerhaften Verlassen der Ehewohnung durch die Ehefrau („hağarat maskan az-zauğīya“) gesprochen, das zu einem Verlust ihres Unterhaltsanspruches führt. Im Gegensatz hierzu wurde in der ursprünglichen Fassung des PSG aus dem Jahre 2005 noch jegliches (auch kurzfristige) Verlassen („tarakat bait az-zauğīya“) ohne islamrechtlichen Grund als ausreichend angesehen, um den Ehemann von seiner Unterhaltspflicht zu entbinden. Das ÄndG Nr. 8/2019 hatte die Regelung zwischenzeitlich dahingehend umgewandelt, dass der Unterhaltsanspruch der Ehefrau erlosch, wenn sie sich nach Verlassen grundlos weigerte, in die Ehewohnung zurückzukehren. Ersatzlos gestrichen wurde Art. 71 IV PSG a.F., wonach die Unterhaltspflicht des Ehemannes entfiel, wenn die Ehefrau sich grundlos weigerte, ihren Ehemann auf Reisen zu begleiten. Stattdessen wurde mit Art. 71 V PSG n.F. nun eine neue Regelung hinzugefügt, nach der die Vernachlässigung gesetzlich bestimmter ehelicher Pflichten (hierunter müssen in erster Linie die Bestimmungen in Art. 56 PSG n.F. verstanden werden) ebenfalls zu einem Verlust des Unterhaltsanspruchs führt.

Eine erwähnenswerte Änderung im Familienverfahrensrecht wird durch die Neufassung des Art. 100 PSG eingeführt. Dieser regelt nun nicht mehr allein, wer den ṭalāq erklären kann (Ehemann oder Stellvertreter bzw. Ehefrau mit Spezialvollmacht), sondern trifft auch Aussagen zur Eintragungspflicht solcher Scheidungen. Damit nimmt Art. 100 PSG n.F. den Inhalt des durch das ÄndG gestrichenen Art. 106 PSG in seinen Regelungsumfang auf, macht die gerichtliche Eintragung des ṭalāq aber nun zur Pflicht („yağib tauṯīquhu“, Art. 100 S. 1 PSG n.F.). Eine dem gestrichenen Art. 106 II PSG ähnelnde Ausnahme sieht aber auch Art. 100 PSG n.F. vor. So kann eine gerichtliche Bestätigung des ṭalāq weiterhin nachträglich erfolgen (Art. 100 S. 2 PSG n.F.). Bewiesen werden kann der außergerichtlich erfolgte ṭalāq in solchen Fällen durch Zeugenaussage oder Anerkenntnis (iqrār). Hierbei handelt es sich fortan jedoch um ein vom Richter geleitetes Anerkennungsverfahren, an dessen Ende ein Feststellungsurteil steht („wa yuṣdiru al-qāḍī ḥukmahu“). Datiert wird die Scheidung in diesen Fällen entweder auf den Zeitpunkt des Anerkenntnisses oder auf ein durch das Gericht ermitteltes früheres Datum (Art. 100 S. 3 PSG n.F.).

Bereits durch ÄndG Nr. 8/2019 wurde das Verfahren bei Scheidung aufgrund ehelicher Zerrüttung (at-tafrīq li-š-šiqāq) dahingehend geändert, dass im Rahmen des vorgelagerten Schlichtungsverfahrens nun auch der Scheidungsantrag der Ehefrau zurückgewiesen werden kann, wenn die vom Gericht ernannten Schiedsmänner keinen überwiegend schuldigen Ehegatten ausmachen. Die Regelung über die Schlichtung verlangt zudem explizit, dass die familiäre Gesamtsituation und das Wohl der gemeinsamen Kinder bei der Entscheidung über den Fortbestand der Ehe Berücksichtigung finden müssen. Das aktuelle ÄndG passt Art. 120 III PSG sprachlich an und erreicht somit einen Gleichlauf des Scheidungsverfahrens bei ehelicher Verfehlung des Ehemannes (Art. 120 II PSG) und der Ehefrau (Art. 120 III PSG n.F.). In beiden Fällen ist eine Abfindung vom überwiegend schuldigen Ehegatten zu zahlen und dies auch, wenn beide Ehegatten die Scheidung beantragen. Bislang waren die Modalitäten der Entschädigungspflicht durch die Ehefrau nicht eindeutig normiert. Dem Ehemann hingegen oblag bereits zuvor eine Entschädigungspflicht sowohl bei alleinigem als auch bei gemeinsamem Scheidungsantrag, aber einseitigem Verschulden seinerseits.

Im November 2020 wurde zudem das internationale Familien- und Erbrecht reformiert. Eine offizielle Fassung des entsprechenden Gesetzesdekrets ist noch nicht veröffentlicht, so dass die gesetzlichen Änderungen bislang lediglich der lokalen Presse zu entnehmen sind. Der offiziellen emiratischen Nachrichtenagentur Emirates News Agency/WAM zufolge soll in den Vereinigten Arabischen Emiraten lebenden Ausländern fortan das Recht eingeräumt werden, das auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anwendbare Recht durch Rechtswahl zu bestimmen. Die Rechtswahl umfasst dabei sowohl die gewillkürte als auch die gesetzliche Erbfolge. Inwieweit eine solche Rechtswahl auch muslimischen Ausländern offensteht und diese zum Beispiel ein nichtreligiöses Heimatrecht, wie etwa das deutsche Erbrecht, wählen können, bleibt fraglich. Die englischsprachige emiratische Tageszeitung The National berichtet zudem, dass auch das auf die Scheidung anwendbare Kollisionsrecht reformiert wurde und sich das anwendbare Recht fortan nicht mehr nach der Staatsangehörigkeit der Ehegatten bzw. des Ehemannes, sondern nach dem Ort der Eheschließung richtet. Dem Zeitungsbericht zufolge erstreckt sich diese neue Kollisionsnorm auch auf die vermögensrechtlichen Scheidungsfolgen. Erneut bleibt abzuwarten, ob in der Rechtspraxis auch ausländische Muslime aus nicht islamisch geprägten Rechtssystemen hiervon erfasst werden.

Das ÄndG Nr. 5/2020 ist in der arabischen Originalfassung abrufbar unter: https://www.moj.gov.ae/ar/laws-and-legislation/latest-legislations-and-laws.aspx

Berichte über die jüngsten Reformen des internationalen Familien- und Erbrechts sind abrufbar unter:

http://wam.ae/ar/details/1395302884176

https://www.albayan.ae/across-the-uae/news-and-reports/2020-11-07-1.4007078

(jeweils in arabischer Sprache)

und

https://www.thenationalnews.com/uae/courts/uae-legal-reforms-how-divorce-and-inheritance-laws-have-changed-1.1107688

(in englischer Sprache).