28. Juni 2016
Vereinigtes Königreich

Brexit und Familienrecht

Am 23.6.2016 hat bei einem Referendum eine Mehrheit von knapp 52% der Abstimmenden für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU (den sogenannten Brexit) gestimmt. Kurzfristig hat das noch keine Folgen für das Familienrecht, da zunächst der Austrittsprozess abgeschlossen werden muss.

Dieser beginnt damit, dass das Vereinigte Königreich nach Art. 50 Abs. 2 EUV dem Europäischen Rat seine Absicht zum Austritt mitteilt. Zwar besteht nach britischem Recht formalrechtlich aufgrund des Abstimmungsergebnisses keine Verpflichtung, diesen Schritt zu gehen, politisch dürfte es dazu aber keine Alternative geben. Der Zeitpunkt der Mitteilung ist derzeit jedoch noch unklar. Premierminister Cameron hat angekündigt, die Mitteilung einem Nachfolger überlassen zu wollen, sodass sie nicht vor Oktober erfolgen würde; verschiedene Vertreter der EU forderten jedoch, diese so schnell wie möglich vorzunehmen. Nach der entsprechenden Mitteilung ist ein Austrittsabkommen auszuhandeln. Die Europäischen Verträge – und damit auch das von diesen abhängende Sekundärrecht der EU – gelten weiter, bis das Abkommen in Kraft tritt oder zwei Jahre verstrichen sind – wobei diese Frist einvernehmlich auch verlängert werden kann (Art. 50 Abs. 3 EUV). Da eher unwahrscheinlich ist, dass die Verhandlungen über das Abkommen vor Ablauf von zwei Jahren abgeschlossen werden, dürfte sich für die nächsten zwei Jahre nach der Austrittsmitteilung erst einmal nichts ändern.

Nach Fristablauf bzw. Abschluss des Austrittsabkommens findet dann aber nicht nur das EU-Primärrecht keine Anwendung mehr, sondern vorbehaltlich einer abweichenden Regelung im Austrittsabkommen ebenso das Sekundärrecht. Im Familienrecht betrifft das vor allem verfahrensrechtliche Regelungen; das materielle Familienrecht ist dagegen praktisch vollständig national geregelt. Die wesentlichen relevanten EU-Verordnungen, die außer Kraft treten werden, soweit nicht im Austrittsabkommen Abweichendes geregelt wird, sind (nachdem das Vereinigte Königreich an einigen wichtigen Rechtsakten, wie v.a. der Rom III-VO, ohnehin nicht beteiligt ist) folgende:

  • EG-VO Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl EG 2003 Nr. L 338), i.K. 1. 8.2004, Geltung für ab 1. 3.2005 eingeleitete Verfahren (Brüssel IIa-VO bzw EuEheVO II);
  • EG-VO Nr. 4/2009 v. 18. 12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (ABl. EU 2009 Nr. L 7, S. 1), i.K. UK 1. 7.2009 (ABl. EU 2009 Nr. L 149, S. 73) (EuUntVO);
  • EG-VO Nr. 805/2004 v. 21. 4.2004 zur Einführung eines Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (ABl. EG 2004 Nr. L 143, S. 15), Geltung für die Mitgliedstaaten der EU (ohne Dänemark) 21. 10.2005 (VTVO); siehe dazu Art. 68 Abs. 2 EuUntVO;
  • EG-VO Nr. 1393/2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates (EuZVO) v. 13. 11.2007, i.K. 30. 12.2007 (ABl. EU 2007 Nr. L 324, S. 79);
  • EG-VO Nr. 1206/2001 über die Zusammenarbeit zwischen Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen (EuBVO), i.K. 1. 1.2004 (ABl EG 2001 Nr. L 174).


Darüber hinaus gilt: Nationales britisches Recht, das aufgrund von EU-Richtlinien verabschiedet wurde, bleibt in Kraft, kann aber mit Wirksamwerden des Austritts einseitig geändert werden. Völkerrechtliche Abkommen, die von der EU als solcher ohne Beteiligung der Mitgliedstaaten abgeschlossen wurden, treten mit Wirksamwerden des Austritts für das Vereinigte Königreich außer Kraft. Gemischte Abkommen (also solche, die aus Kompetenzgründen von der EU und den Mitgliedstaaten gemeinsam geschlossen wurden) bleiben zwar grundsätzlich in Kraft, allerdings dürfte die Kündigung solcher Abkommen durch das Vereinigte Königreich unumgänglich sein.

Britische Kommentatoren gehen überwiegend davon aus, dass es für längere Zeit Unklarheit über die künftig im Internationalen Familienverfahrensrecht geltenden Regeln geben werde, da dieses Thema auf der Prioritätenliste für die anstehenden Austrittsverhandlungen nicht an günstiger Stelle stehe. Vielfach wird für erforderlich erachtet, die EU-Regelungen zu identifizieren, die für das Vereinigte Königreich nützlich seien und sich Gedanken darüber zu machen, welche gesetzgeberischen Aktivitäten erforderlich seien, um den Wegfall von Regelungen zu kompensieren. Insgesamt sieht die Mehrheit der Familienrechtler, die den Brexit kommentieren, den Austritt mit Skepsis. Der Bar Council (die Vereinigung der Barristers) hatte bereits vor dem Referendum einen Bericht über die Folgen eines Austritts für das Familienrecht veröffentlicht, demzufolge „Konfusion und Chaos“ die Konsequenz sein könnten.